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Radsportlegende Thomas Barth ist 60

Thomas Barth
Daniel Förster

Es ist nachmittags, gegen 14.30 Uhr, im Göltschtal nahe der weltberühmten Göltschtalbrücke. Ein stämmig gebauter Radsportler rauscht im weiß-schwarzen, rot abgesetzten Trikot auf einem Mountainbike heran. „Ich will bis rauf auf den Kuhberg“, ruft er. „Vielleicht düse ich dann noch zur Talsperre Zeulenroda oder in den Pöllwitzer Wald.“ Bevor er weiter auf die höchste Erhebung im Nordvogtland in die Pedalen tritt, stoppt der Mann im Sportdress. Er ist Thomas Barth, langjähriger Kapitän der überaus erfolgreichen DDR-Friedensfahrt-Mannschaft. Sechsmal führte er in den 80er Jahren „sein Team“ zum Sieg, holte in den letzten 20 DDR-Jahren mit anderen Radprofis zahlreiche Medaillen für den untergegangenen Staat - bei nationalen und internationalen Rennen.

Am 12. Februar feierte der Olympia-Vierte von 1980 in Moskau seinen 60. Geburtstag. „Ich habe 30 Kilo zu viel auf den Rippen“, erzählt der einstige Radprofi ohne Kram und muss lachen. „Mir fällt es schwer, gutem Essen zu widerstehen“ und zeigt auf seinen Bauch. Nicht nur deshalb, sondern auch „um den Kopf freizubekommen“, steigt er auch heute noch gern aufs Rad und freut sich „auf jede nächste Rad-Tour mit meinem alten Freund Olaf Ludwig“. Zwischen 60 und 80 km sei er des Öfteren unterwegs. Im Moment strampelt er auf seiner Lieblingsstrecke, die sich „vom thüringischen Vogtland durch Greiz ins sächsische Vogtland“ schlängelt. Auch wenn „Bauer" - so sein Spitzname (weil er vom Dorf stammt, in einem Gehöft aufwuchs) - die Welt bereist hat, bis heute ist er mit seiner Heimat verwurzelt, kennt dort jede Ecke.
 
Über seinen Ehrentag, gar weil es ein runder ist, will er eigentlich nicht reden. „Geburtstage sind nicht so mein Ding.“ Schließlich werde man trauriger Weise jedes Mal ein Jahr älter. „Aber ich werd` nicht älter“, steht für ihn fest. Radsport-Legende Thomas Barth: „Ich fühle mich ab Sechzig so richtig wohl.“ Deshalb lautet für ihn die Devise: „Vollgas! Mit mindestens 60 durchs Leben!“ Nichtsdestotrotz kommt er ins Grübeln und fragt: Wo ist die Zeit nur hin? „Erfolg, Triumph und Stolz“ hätten seinen Weg geprägt – 30 Jahre habe er Erfahrungen in der DDR gemacht und 30 Jahre sei er nun schon „Steuerzahler in der BRD“. Gerade in der jüngsten Zeit habe er erlebt, wie sich die Menschen um ihn verändert hätten. Jetzt gebe es wieder einen Cut, neuer Abschnitt, der beginnt.
 
Am 12. Februar 1960 in Zeulenroda, Stadt der Karpfenpfeifer, zur Welt gekommen, habe er auf den Tag genau 30 Jahre später eine Zäsur erlebt. Mit Mitstreitern der DDR-Radsport-Nationalmannschaft hatte er damals in Kolumbien bei Torte und Kaffee am Geburtstagstisch gehockt, als eine einschlägige Nachricht über den Rundfunk verbreitet wurde. „Über unser kleines Kofferradio ‚Weltempfänger‘ hörten wir über Kurzwellen-Band Deutschlandradio Deutsche Welle, dass die DDR-Mark zur West D-Mark 2:1 getauscht wird und Deutschland am 3. Oktober 1990 vereint wird. Das war für uns unfassbar. …und 30 Jahre vorher gab es noch einen Zaun zwischen Ost und West...“ Im September 1990 zur WM Straße in Japan war sein letzter DDR-Einsatz im internationalen Radsportgeschehen.
 
1992, nach drei Jahren im wieder vereinigten Deutschland, hatte der ehemalige Straßenrad-Rennfahrer und DDR-Nationalfahrer seine aktive Karriere beendet. Seine 20 Jahre als aktiver Leistungssportler waren für ihn „eine grandiose Zeit". Insbesondere meint der SG-Wismut-Gera-Fahrer, der 1977 und 1978 Junioren-Weltmeister mit der Straßen-Mannschaft wurde, die zehn Jahre, als er zwischen 1980 und 1989 als Kapitän erfolgreich die DDR-Friedensfahrtauswahl lenkte. An der Seite von Olympia-Sieger Olaf Ludwig, Straßen-Einzel-Weltmeister Bernd Drogan (1982), Uwe Raab (1983) und Uwe Ampler (1987) führte er das Sextett sechsmal (1982, 1983, 1986, 1987, 1988 und 1989) zu Siegen. Er selbst gewann 1982 die Mittelmeer-Rundfahrt in der Türkei und drei Etappen zwischen Mersin-Anamur bis Troja, 1985 den Rumänien-Cup und die Griechenland-Rundfahrt, 1986 die Rundfahrten in Rheinland-Pfalz, 1988 Rund um die Braunkohle und 1989 in Belgien. Seine Karriere krönte er 1991, als er die Tour de France komplett durchfuhr. Sein bestes Etappenergebnis war ein achter Platz. Nach seinen Radsport-Erfolgen erklang allein ihm zu Ehren immer wieder die DDR-Nationalhymne „Dreimal spielten sie für mich auch die Deutschland-Hymne, einmal (1982) sogar versehentlich.“
 
Dem Fußball, den er zunächst als junger Mann wie alle Gleichaltrigen spielte, hatte er schnell den Rücken gekehrt. Und das hatte für ihn auch einen ideellen Hintergrund: „Im Fußball gibt es nur Gewinner oder Verlierer, im Radsport dagegen Platzierte." Heute noch führen den einstigen Helden der Landstraße Termine an die Stätte seiner früheren Triumphe zurück. „Das sind immer wieder tolle Deja-vu-Erlebnisse" - auch und vor allem die Oldie-Rennen der Prominenten mag er. Die Veranstalter müssten ihn nicht lange betteln, damit er sich an die Startlinie stellt. Nicht selten, steht er dann mit Olympiasieger Olaf Ludwig und anderen einstigen Wegbegleitern in einem Rennen.
 
Dann fahren die DDR-Radsportlegenden so wie zuletzt beim ŠKODA Velorace Radrennen in Dresden „heimlich“ ihre Duelle aus“, erzählt Barth und scherzt dabei. Aber „das Wichtigste“ sei es für ihn, bei solchen Rennen im Volksradsport „dabei zu sein, das Flair und die Zuschauer an der Strecke, die schon und gerade heute noch den Radsport liebhaben, zu erleben“ und natürlich gehe es ihm um den Spaß am Radfahren. Und wenn dann noch Thomas Barth wirklich eher als Ludwig im Ziel ist, ist die Welt für ihn in Ordnung.
„Das ist schon richtig so. Ich bin der Ältere (A.d.R. Thomas Barth ist 61 Tage früher als Olaf Ludwig geboren). Und er ist der Jüngere und hat sich hinten anzustellen“, stellt Thomas Barth mit einem Augenzwinkern fest. „Für ihn bin immer noch der Kapitän. Ich sag nur an, da wird es getan. Wenn ich sage hinten bleiben, da ist er hinten geblieben.“
 
Wie viele ehemalige Profis stieg Thomas Barth nach seiner aktiven Zeit ins Radsportgeschäft ein. Er blieb bodenständig und seiner Heimat treu. Wie andere Teamkollegen in den Westen zu gehen, kam für ihn nicht in Frage. Und Radsport ist und bleibt sein Leben. Beruflich ist er - schon seit 27 Jahren - als Vertriebsleiter für den deutschen Fahrradhersteller Centurion und den taiwanischen Fahrradhersteller Merida Bikes tätig. „Ich bin in den neuen Bundesländern speziell in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt Berater und Gebietsleiter im Außendienst", erzählt er. So liefert er Fahrräder jeder Art und Zubehör wie Helme.
 
Bis zum Aus der Internationalen Friedensfahrt 2006 hielt er als Technischer Direktor die Fäden auf deutschem Boden in seinen Händen. Trotz seines Engagements konnte er es nicht verhindern, dass die traditionsreiche Rundfahrt eingestellt wurde. Wirtschaftliche Gründe waren die Ursache. 1998 hatte er von Täve Schur die Amtsgeschäfte als Präsident des deutschen Vereins Friedensfahrt übernommen.
 
Bis 2012 mehr als zehn Jahre lang unterstützte er den Radsport-Nachwuchs in Thüringen, so beim Erfolgsverein SSV Gera. Späteren Deutschen Meistern und Weltmeistern wie Robert Förstemann (Greiz), René Enders (Zeulenroda-Triebes), Rüdiger Selig (Zwenkau), Rick Ampler (Leipzig) - den Sohn von Olympiasieger Uwe Ampler, Sascha Damrow (Gera) und nicht zuletzt seinen eigenen Sohn Marcel Barth (Gera) alias „BallerBarth“ war er ein wichtiger Begleiter auf dem Weg zum Erfolg. Früher feierte er Siege gefeiert, nun freute er sich mit den Sportlern der folgenden Radsportgenerationen, wenn die auch dank ihm Lorbeeren ernteten. Oft war er „hautnah dabei“.
„Zunehmende berufliche Aufgaben, gerade der Einführung und Etablierung des sich immer stärker entwickelnden E-Bike-Marktes, aber auch persönliche Gründe zwangen mich vor acht Jahren im Nachwuchsbereich kürzer zu treten“. Trotzdem hält er nicht hinter den Berg, wenn er gefragt wird, dem Nachwuchs viele, auch taktische Tipps mit auf den Weg zu geben.
 
Zu den Klassebolzern von einst hält er regen Kontakt. Viele von ihnen kamen an seinem Geburtstag nach Leitlitz (rund 170 Einwohner). In jenem Dorf, einem Ortsteil der Stadt Zeulenroda-Triebes (im Landkreis Greiz), hatte er am 27. April 1972 die „Kleine Friedensfahrt“ als sein erstes Radrennen bestritten und gewonnen. „Dort wurde ich als Zwölfjähriger vom Cycling-Virus infiziert.“ 1974 begann seine Zeit als aktiver Radsportler in Gera. Und seitdem hat er ihn nicht mehr losgelassen.  
 
Apropos Vollgas mit 60: Zwei Radsporthöhepunkte will Thomas Barth in diesem Jahr (2020) nunmehr als 60 Jähriger in der Altersklasse Senioren 4 unbedingt bestreiten: Am 2. August 2020 den Erzgebirgs-Bike-Marathon (Deutschlands ältester Mountainbike-Marathon) kurz "EBM" im Kurort Seiffen im Erzgebirge und das ŠKODA Velorace am 9. August 2020 in Dresden am Elbufer.
19.02.2020 / Daniel Förster
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